Jens Hessler – Rechtsrock und Blood&Honour:
Jens Hessler galt bis in die jüngere Zeit hinein als eine der führenden Figuren in der Rechtsrock-Szene mit einem umfangreichen Netzwerk in ganz Europa. Er betrieb seit Anfang 1996 den „Nibelungen-Versand“ des neonazistischen „Blood&Honour“-Netzwerkes, wofür er im September 1999 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde (https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-ende-des-nibelungen-versandes). Das milde Urteil rührte daher, dass Hessler sich vor Gericht als „Aussteiger“ bezeichnet und Aussagen über die Neo-Nazi-Szene gemacht hatte.
Dennoch betrieb Hessler seine Aktivitäten über viele Jahre relativ unbehelligt weiter. 2013 kam es zu einem Rechtsstreit mit der Band „Freiwild“, der Hessler vorwarf, ein Gitarrenriff von „Stahlgewitter“ urheberrechtswidrig verwendet zu haben. Die Klage wurde am 27. Februar 2015 vom Landgericht Hamburg abgewiesen. Die Band „Stahlgewitter“ um den Meppener Daniel Giese, als deren Bandmitglied Hessler sich bezeichnet, auch wenn er nicht auf der Bühne steht, gilt als eine Kultband in der Rechtsrock-Szene. (https://taz.de/FreiWild-unter-Klau-Verdacht/!5067182/)
Seit Mitte der 2010er Jahre betrieb er den Versandhandel „Das Zeughaus“, anfangs von einer Adresse auf Mallorca aus, später dann von seiner Lingener Anschrift, in dem er neben einschlägigem Neonazi-Merch und Tonträgern u.a. von „Stahlgewitter“ auch Konzerttickets für Nazi-Konzerte vertrieb, wovon sowohl er als auch die Neonazi-Szene finanziell enorm profitiert haben dürfte. Hessler war u.a. an der Planung für das von 5000-6000 Neonazis besuchte und konspirativ organisierte Konzert in Unterwasser in der Schweiz im Oktober 2016 beteiligt, bei dem „Stahlgewitter“ als Headliner auftraten (https://www.antifainfoblatt.de/artikel/tausende-besucher-bei-rechtsrock-konzert-der-schweiz). Außerdem betrieb er mit seinem Versandhandel einen eigenen Stand beim Nazi-Festival 2017 in Themar (Thüringen). (https://www.endstation-rechts.de/news/sturm-auf-themar)
2018 zog Hessler von Lingen nach Bayern, wo er sich das Anwesen „Gasthof Fels“ an der B 173 zwischen den Landkreisen Hof, Kulmbach und Kronach gekauft hatte. Hier versuchte er, sich erneut als „Aussteiger“ zu inszenieren. Die Verantwortung für „Das Zeughaus“ hatte er einem anderen Neonazi übertragen, betrieb aber unter ähnlichem Namen weiterhin einen Onlineversand mit Wikingerprodukten. (https://www.kurier.de/inhalt.umstrittener-besitzer-verfassungsschutz-beobachtet-gasthof-fels.b1bb9503-55ad-4b3a-8478-f3fdab2fb7df.html)
2021 verkaufte er das Anwesen wieder und lebt heute vermutlich mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindern wieder auf Mallorca. (https://www.np-coburg.de/inhalt.landkreise-hof-kulmbach-rechtsrocker-verkauft-gasthof-fels.ce404ba6-2e32-4502-a3e0-d3c9f1fe359c.html)
Zum Weiterlesen:
Literatur:
- Timo Büchner: Rechtsrock. Business, Ideologie & militante Netzwerke. Münster: Unrast 2021, unrast transparent, rechter rand 19, ISBN: 978-3-89771-149-5
- Martin Langebach, Jan Raabe: Zwischen Freizeit, Politik und Partei: RechtsRock. In: Strategien der extremen Rechten: Hintergründe – Analysen – Antworten. Hrsg. von Stephan Braun, Alexander Geisler, Martin Gerster. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Wiesbaden: Springer VS, 2016, S. 377- 424, zu Hessler, S. 393. ISBN 978-3-658-01983-9
- Christian Dornbusch, Jan Raabe: RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategie. Münster: Unrast 2002, reihe antifaschistischer texte 11, ISBN: 978-3-89771-808-1
- Searchlight, Antifaschistisches Infoblatt, Enough is Enough, rat (Hrsg.): White Noise. Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene. reihe antifaschistischer texte (rat) / Unrast Verlag, Hamburg/Münster 2000, ISBN 978-3-89771-803-6
- Burkhard Schröder. Der V-Mann. Hamburg: Rotbuch-Verlag, 1997. ISBN 3-88022-516-8
Artikel:
Der Rechte Rand Nr. 48, Sept/Okt. 1997
Drei Artikel aus dem Rechten Rand über die Rechtsrock-Szene, den V-Mann Michael Wobbe und Jens Hessler im Speziellen.
- Presseck (Ofr.): Neonazi verkaufte Gasthof Fels. https://www.nazistopp-nuernberg.de/august-2021_index200.htm (August 2021)
- Andrea Röpke: „Sturm auf Themar“. Militante Neonazi-Netzwerke verbergen sich hinter dem bisher größten Rechtsrock-Konzert in Thüringen. https://www.endstation-rechts.de/news/sturm-auf-themar (18.07.2017)
- Andreas Meyer: Organisiert oder desorientiert? Zur Bedeutung von Netzwerken und Organisationen im Nazi-Rock. In: Lotta. Nr. 66/2017, https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/66/organisiert-oder-desorientiert (24.04.2017)
- Tausende Besucher bei Rechtsrock-Konzert in der Schweiz. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). Nr. 113/2016, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/tausende-besucher-bei-rechtsrock-konzert-der-schweiz (06.04.2017)
- 150.000 € bei Rechtsrock-Konzert in der Schweiz – Geld landet auf Konto der Thüringer Neonazi-Szene. https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2016/10/17/150-000-e-bei-rechtsrock-konzert-in-der-schweiz-geld-landet-auf-konto-der-thueringer-neonazi-szene/ (17.10.2016)
- Andrea Röpke: Neonazi-Event bei der „singenden Wirtin“. Im Emsland feiern Rechtsrocker und ehemalige „Blood&Honour-Aktivisten“ mit „Lunikoff“ in geschlossener Gesellschaft. http://www.endstation-rechts.de/news/neonazi-event-bei-der-singenden-wirtin (11.10.2013)
- Neonazi-Musik-Produzent verurteilt. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB) 58/2002, |https://www.antifainfoblatt.de/artikel/neonazi-musik-produzent-verurteilt (14.12.2002)
- Neonazi-Musik-Produzent in Untersuchungshaft. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB) 55 /2002, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/neonazi-musik-produzent-untersuchungshaft (12.04.2002)
- Das Ende des Nibelungen Versandes. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-ende-des-nibelungen-versandes (24.01.2001)
- Anstandshalber Starker Staat. Schily verbietet Blood & Honour. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). Nr. 51/2000, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/anstandshalber-starker-staat-schily-verbietet-blood-honour (16.10.2000)
- Lübeck: Wahlkampf vom „Bündnis Rechts“. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). 43/1998 https://www.antifainfoblatt.de/artikel/l%C3%BCbeck-wahlkampf-vom-b%C3%BCndnis-rechts (17.07.1998)
- Anti-„Wehrmachtsausstellung“ Demonstration in Dresden. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). Nr. 43/1998, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/anti-wehrmachtsausstellung-demonstration-dresden (15.07.1998)
Organisierungsdebatte – AA/BO vs. BAT:
Die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), gegründet im Sommer 1992, versuchte der Schwäche der radikalen Linken, dem Niedergang der autonomen Bewegung und den Grenzen des autonomen Bewegungsmodells zu begegnen, das in der bis dahin beispiellosen rassistischen und faschistischen Mobilisierung zu Beginn der 1990er Jahre deutlich geworden war.
Ein Versuch zur Überwindung dieser Situation stellte die „Organisierungsdebatte“ dar. Die mit ihr verbundene politische und organisatorische „antifaschistische Einheit“ folgte dabei weitgehend den Vorstellungen, die die Göttinger Autonome Antifa (M) in einem 1991 veröffentlichten Diskussionspapier entwickelt hatte. Die AA/BO war in dieser Kritik am Bewegungsmodell als Resultat bereits vorweg genommen: Als eine Organisation, in der die politischen Fehler der Autonomen, ihre Unverbindlichkeit, ihre „Ghettomentalität“ und ihr „beschränkter“ Blick aufgehoben werden sollten. Dies führte zu teilweiser massiven Kritik aus der autonomen Szene, während Kritik aus der Antifabewegung seltener geäußert wurde.
Der AA/BO ging es darum, die autonome Szene, aber auch neue Antifagruppen, in einem gemeinsamen Projekt auf antiimperialistischer bzw. antikapitalistischer Basis zu organisieren. Dabei sollte sich nicht auf den Kampf gegen Neonazistrukturen beschränkt werden, es sollten die gesellschaftlichen Verhältnisse offensiv angegriffen werden, die faschistisches, rassistisches und antisemitisches, wie auch patriarchales Gedankengut immer wieder reproduzieren. Perspektivisch zielte der Ansatz auf die Überwindung des kapitalistischen Systems. Abwehrkampf und Offensivposition wurden nicht als Gegensatz, sondern als wechselseitiges Verhältnis begriffen, wobei der antifaschistische Kampf aufgrund der gesellschaftlichen Situation im Vordergrund stand. Antifaschistische Organisierung war das Ziel, Organisation der Rahmen. Hier lag ein deutlicher struktureller Unterschied zum BAT (Bundesweites Antifa Treffen)-Ansatz.
Organisation vs. Organisierung
Das BAT war Abgrenzungsprojekt und Alternative zur AA/BO zugleich. Es entstand zwei Jahre nach dem Beginn der „Organisierungsdebatte“ und ein Jahr nach der Gründung der AA/BO. Der Kern der Gründungsgruppen hatte sich bis dahin an der Diskussion um eine bundesweite Organisierung beteiligt und die meisten inhaltlichen Eckpunkte mitgetragen. Das BAT war die Konsequenz einer Richtungsentscheidung zwischen „Organisation“ und „Organisierung“ – trotz grundsätzlich geteilter politischer Einschätzungen und trotz des geteilten Bedürfnisses, gemeinsame Strukturen auszubilden.
Das BAT nahm damit eine Zwischenstellung ein. Einerseits sollte es diejenigen sammeln, die dem Konzept der AA/BO ablehnend gegenüber standen, andererseits verstand es sich als offenes Forum, an dem auch Gruppen aus der AA/BO teilnehmen konnten und lange Zeit teilnahmen.
Das Selbstverständnis des BAT hob „Diskussionen“, „Vernetzung“, „Offenheit“ und „Annäherung“ gegenüber einem konkreten Organisierungsansatz hervor. Dieser bewusste Verzicht auf „Einheit“ hatte strukturelle und inhaltliche Konsequenzen. So entstand mit dem BAT ein Organisierungsmodell, dass sich weniger dafür eignete, linksradikale Politik zu entwickeln oder einen Schwerpunkt auf die Durchführung gemeinsamer Kampagnen zu legen, wie sie für die AA/BO zur prägenden Politikform wurde. Andererseits begründeten gerade die Offenheit und Voraussetzungslosigkeit zunächst die eigentliche Stärke des Ansatzes, an dem sich zeitweise bis zu 50 Gruppen beteiligten.
Der Konsens im BAT bestand darin, dass unterschiedlichen Formen des Widerstands gegen Rassismus und Faschismus und die Widersprüche zwischen einzelnen Positionen zunächst zu akzeptieren und die gleichberechtigte Zusammenarbeit von parteiunabhängigen Gruppen zu intensivieren seien, die für eine Gesellschaft kämpften, in der alle Menschen die selben Rechte und Chancen haben. Diese Unbestimmtheit, deren Ausdruck eben auch der bewusste Verzicht auf ein Programm war, begründete das Spannungsverhältnis, in dem sich das BAT befand. Charakteristisch wurde die dauerhafte Einforderung inhaltlicher Diskussionen. Zwar sei, so hieß es bereits 1995, das Ziel der Vernetzung erreicht, die inhaltlichen Ansprüche an Organisierung hingegen nur ungenügend formuliert.
Das BAT drohte mangels gemeinsamer Perspektiven in voneinander losgelöste Arbeitsgruppen zu zerfallen. Während sich manche AG ohne Kontinuität, in ewig wechselnder Besetzung nach dem Zufallsprinzip zusammenfand, entwickelten sich aus anderen AGs feste Zusammenhänge, die zunehmend unabhängig vom BAT arbeiteten. Gleichzeitig setzte die dauerhafte Neuzusammensetzung der Treffen der Festlegung auf Positionen enge Grenzen. So setzten sich faktisch meist Auffassungen durch, die zum offensiven Umgang mit der eigenen Inhaltslosigkeit tendierten und das BAT als Ort des Informationsaustauschs sahen.
Dagegen war Vernetzung dem AA/BO-Spektrum zu wenig, da sie als perspektivisch zu unverbindlich angesehen wurde. Es sollte stattdessen eine antifaschistische linke Kraft als wahrnehmbarer Faktor aufgebaut werden. Ein eher loser Zusammenhang auf Vernetzungsebene wäre nicht dazu geeignet, die an den Rand gedrängte und in sich zersplitterte Linke wieder nach vorne zu bringen. Im April 2001 gab die AA/BO ihre Auflösung bekannt.
Zum Weiterlesen:
- Mirja Keller, Lena Kögler, Moritz Krawinkel, Jan Schlemermeyer: Antifa. Geschichte und Organisierung. Stuttgart: Schmetterling-Verl. 2011, 3. aktualisierte Auflage 2018, ISBN 3-89657-696-8
- Zwischen Idee & Realität. Die AA/BO im Rückblick. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). Nr. 58/2002, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/zwischen-idee-realit%C3%A4t-die-aabo-im-r%C3%BCckblick (14.12.2002)
- Das Bundesweite Antifa Treffen. Ein Rhythmus – zwei Akkorde – drei Slogans. In: Antifaschistisches Info-Blatt (AIB). Nr. 57/2002, https://www.antifainfoblatt.de/artikel/das-bundesweite-antifa-treffen (13.10.2002)
- Phase2 Bonn: Autonome Organisierung. Teil 1 Zur Auflösung der AA/BO. In: phase 2. Zeitschrift gegen die Realität. Nr. 1/2001, https://www.phase-zwei.org/hefte/artikel/autonome-organisierung-teil-1-632
- Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation: Einsatz – Grundlagen der Antifaschistischen Aktion/BO. September 1993